EuropaGestalten III: Die Querelle des Femmes

EuropaGestalten III: Die Querelle des Femmes

Organisatoren
Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M; Leitung: Dr. Gisela Engel; gefördert von der VolkswagenStiftung
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.11.2003 - 15.11.2003
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Von
Susanne Thiemann, Annett Vollmer, Berlin

Bericht von Susanne Thiemann und Annett Vollmer (Berlin) 1

Die dritte interdisziplinäre Tagung der Reihe EuropaGestalten befaßte sich mit der Querelle des Femmes in der Frühen Neuzeit. Wie in den beiden vorangegangenen Tagungen, die sich Fragen der Periodisierung der Frühen Neuzeit sowie den europäischen Expansionen gewidmet hatten, standen zentrale Aspekte der gegenwärtigen Debatten um die kulturellen und politischen Identitätskonstruktionen Europas im Mittelpunkt. Die Querelle des Femmes bietet sich als Untersuchungsgegenstand an, da es sich um ein gesamteuropäisches Phänomen handelt und Argumentations- und Diskursmuster in ähnlicher Weise bei der Erörterung der Neuen Welt wieder auftauchen. Der vom 15. bis zum 18. Jahrhundert in den verschiedensten Textsorten und an unterschiedlichsten Orten geführte Streit um Wert, Stellung und Bildungsfähigkeit der Frau eignet sich dazu, fundamentale Fragestellungen wie die europäische Gleichheits- und Freiheitsdiskussion, die ihre Aktualität bis in unsere Tage nicht verloren hat, auf ihre historische Verankerung hin zu befragen.

Die Beiträge kreisten um zwei Leitfragen: die diskursive Verhandlung und Erzeugung von Geschlechterdifferenz und die Frage nach dem Sitz des Lebens der Querelle, also die Auswirkungen auf die realen Lebensbedingungen.

Anknüpfend an die in der letzten Tagung geführte Debatte um europäische Expansionen hob Friederike HASSAUER in ihrem Impulsreferat "Die Forschungslandschaft zur Querelle des femmes im europäischen Vergleich" den engen Konnex zwischen Welt- und Geschlechterordnung hervor und forderte daher statt sektoralem Hinzufügen der Geschlechterfrage diese umfassend ebenso auf systematischer wie historischer Ebene zu untersuchen. Insofern wäre auch der spezifische Ort der Querelle im Feld des überall und jederzeit vorhandenen Geschlechterwissens näher zu bestimmen. Hassauer schlug vor, auf der Basis eines historischen Verständnisses von Querelle die Performanz und Rhetorizität der Debatte zu betonen und das typische querellistische Geschlechterwissen als "heißes Wissen" von bestimmten "erkalteten", d.h. erstarrten Wissensformationen abzuheben. Ein besonderes Forschungsdesiderat sei die Verknüpfung visueller und litteraler Medien, wie die Inszenierung der weiblichen Gelehrten als bärtige Frau und die Verhandlung der Lateinkompetenz von Frauen.

In der ersten - und nicht zufälligerweise umfangreichsten - Sektion "Wissenschaften vom Menschen" ging es um den epistemologischen Rahmen und die Bestimmung des Ortes, den Frauen innerhalb der Weltordnung einnehmen.

Marlen BIDWELL-STEINER machte in ihrem Beitrag 'Adams widerständige Rippe. Anthropologische Erklärungsmodelle zur Geschlechterdifferenz in der frühneuzeitlichen Romania' den systematischen Querelle-Begriff stark, um das Ausagieren weiblicher Autonomiebestrebungen beschreibbar zu machen. Sie verfolgte die Auseinandersetzung um die widersprüchlichen biblischen Schöpfungsmythen, die die Androgynität des ersten Menschen der Erstgeburt Adams gegenüberstellen und deren Veränderungen bis zur Frühen Neuzeit aufzeigen.

Andrea SIEBER stellte in ihrem Beitrag ('Philogynie oder Misogynie? Zur Geschlechteranthropologie bei Giovanni Boccaccio und Heinrich Steinhöwel') Steinhöwels Übersetzung von Boccaccios berühmten Frauenkatalog De claris mulieribus als philogyne Korrektur vor. Vortrag und Diskussion zeigten, daß Begrifflichkeiten wie Philogynie und Misogynie je nach historischer Perspektive andere Bedeutungen erhalten und einzelne Autoren sich schwerlich auf eine dieser beiden Positionen festlegen lassen.

Wie Komplex diese beiden Positionierungen 'philogyn/misogyn' ineinander verschränkt sein können, zeigte auch der Beitrag von Ute FRIETSCH über 'Paracelsus' Konzeption der Matrix'. Frietsch führte vor, daß Paracelsus 'Frau' und 'Weiblichkeit' in der von ihm imaginierten kosmologischen Ordnung zwar dadurch aufwertet, daß er die heilige Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist mit der Figur der Maria zur perfekteren Quartität ergänzt gleichzeitig aber die göttliche Perfektion durch die Anwesenheit des Weiblichen geschwächt und bedroht sieht.

Sich kreuzende Diskurse konstatierte auch Eva CESCUTTI ('Lieben im Geschlechterstreit? Der Liebes-Diskurs der Renaissance und die Querelle') in ihrer Analyse des Dialogo della infinità d'amore der Tullia d'Aragona und somit des einzigen überlieferten humanistischen Dialogs über die Liebe, der von einer Frau verfaßt wurde. Minutiös arbeitete Cescutti die einzelnen Diskursstränge von höfischer Konversation und höfischem Liebesdiskurs einerseits und Geschlechterstreit andererseits heraus.

Siep STUURMANN führte in seinem Vortrag 'The Transition from the 'Querelle des Femmes' to the Enlightenment in Poulain de la Barre's Cartesian Feminism' mit Poulain de la Barre einen Gleichheitstheoretiker vor, der nicht nur - wie viele vor ihm - die Geschlechtslosigkeit der Seele bzw. des Intellekts vertrat, sondern auch die Annahme der körperlichen Differenz der Geschlechter verwarf. Damit, so Stuurmann, laufe Poulain de la Barres cartesianischer Feminismus der These Laqueurs zuwider, daß sich mit der Aufklärung die Vorstellungen von sexueller Differenz von 'gender' hin zu 'sex' verschoben habe.

In der zweiten Sektion wurde dann deutlich, welche politischen Auswirkungen und gesellschaftlichen Funktionen Querelle- Schriften übernehmen konnten.

Pauline PUPPEL ('Gynaekokratie: die Herrschaft hochadeliger Frauen in der Frühen Neuzeit') untersuchte anhand von juristischen Dissertationen das Beispiel der Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel und somit die Umsetzung des juristischen Diskurs über die Legitimation weiblicher Regentschaft. Der Beitrag von Puppel zeigte, daß die Rechtspraxis von den in der Querelle verhandelten Positionen abweichen konnte und daher ein nicht zu unterschätzendes Untersuchungsfeld darstellt.

Magdalena DREXLS Beitrag zu 'Simon Gedicke und seiner Defensio sexus muliebris. Kontext und Funktion von Querelle des Femmes-Schriften in Brandenburg und Sachsen um 1600' bewies einmal mehr wie wichtig die Kontextualisierung einzelner Querelle-Schriften ist: So konnte Drexl darlegen, daß jene legendäre, vermutlich von Valens Acidalius verfaßte Streitschrift von 1595, die der Frau das Menschsein abspricht, ursprünglich eine satirische Konfessionsschrift gegen die antitrinitäre Positionen vertretende Täuferbewegung darstellt. Gleichwohl wurde diese Schmährede gegen das weibliche Geschlecht - und das zeigt u.a. die Gegenschrift von Simon Gedicke - als Querelle-Schrift rezipiert.

In der Sektion Literarischer Markt standen populäre Literatur, medizinische Polizei und Medialität im Zentrum des Interesses. Andrea Wicke analysierte in ihrem Vortrag 'Modi der Geschlechterordnung in populärer politischer Literatur des 17. Jahrhunderts' Unterhaltungsromane, die dazu dienten, Männer zum Heiraten zu bewegen und in der Ehe wirtschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Wicke schärfte das Bewußtsein dafür, daß die Querelle des Femmes kein ausschließlich akademischer Diskurs war, sondern auch Eingang in die populären Gattungen fand.

Bettina Wahrig ('Querelle des femmes et querelles de santé im Diskurs der medizinischen Polizey') untersuchte anhand von Apothekerzeitschriften den medizinischen Diskurs im 18. und 19. Jahrhundert. Sie konnte zeigen, daß die diskursive Einbeziehung des Weiblichen unterschiedliche Funktionen hatte: Im positiven (Frau = Natur = Ideal) wie im negativen Sinne (Frau als Kindsmörderin oder Hexe) wirkten diese Stereotype diskursstabilisierend. Der medizinische Diskurs bestätigt somit das seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert konventionelle Geschlechtermodell.

Die Querelle des Femmes als literarisch-ikonographischer Streit stand bei Marion Kintzinger ('Provokation und Performance. Bilder, Reime und Scherze in der deutschsprachigen Querelle des femmes') im Mittelpunkt. Sie untersuchte vor allem die allegorische Bildsprache von werbewirksamen Titelblättern. Deren ikonographische Gestaltung gab Auskunft über Anlaß, Inhalt und Funktionsbestimmung des Werkes und somit über eine rezeptionssteuernde Wirkabsicht.

In der Sektion Theater und Literatur ging es um verschiedene Momente der Repräsentationskultur. Dem Theater als einem privilegierten Ort der Transgression von Geschlechterordnungen widmete sich Andrea Grewe in ihrem Vortrag ('Die Querelle des femmes im italienischen Theater des Cinquecento'). Das dramatische Spiel mit anderen Identitäten eignet sich vorzüglich zum Spiel mit Geschlechterrollen, wie es in zahlreichen Theaterstücken der Frühen Neuzeit thematisiert wurde. Grewe schlug einen Bogen von da Bibbiena, in dessen Stück La Calandria (1513) gleich drei Fälle von cross-dressing auftauchen, bis zu Giovan Battista Andreinis Amore nello specchio (1622).

Eine ebenfalls von Schriftstellerinnen bevorzugte Gattung ist der utopische Roman, dem sich Nicole Pohl in ihrem Beitrag ('Querelle des femmes und Utopie: Versions and Subversions of the gender debate in 18th century utopias') widmete. In Sarah Scotts A Description of Millenium Hall richtet sich ein männlicher Erzähler an ein männliches Lesepublikum und beschreibt eine Gemeinschaft, in der herkömmliche Begriffe wie Familie oder Ehe neu besetzt werden. Obwohl Millenium Hall kein Text der Querelle des Femmes ist, so rückt er doch wesentliche Aspekte der Diskussion ins Zentrum und läßt die Stimme einer Autorin zu Wort kommen.

Daniela Hammer-Tugendhat bewies in ihrem luziden Beitrag 'Asymmetrie. Geschlechterkonstruktionen im Werk von Rembrandt' die ikonographische Abwesenheit des männlichen Begehrens in der Malerei der Frühen Neuzeit. Rembrandts "Frau im Bett" stellt das weibliche Begehren dar, was zeitgenössisch möglich war, wenn auch - wie in diesem Fall - eine Ausnahme bildete. Wenn der Geschlechtsakt in der Frühen Neuzeit dargestellt wird, wird auf antike Mythen zurückgegriffen: Der Mann wird unsichtbar und höchstens symbolisch als Schwan oder Goldregen (Danae) visualisiert. Der Blick des Mannes ist immer der des Betrachters außerhalb des repräsentierten Ausschnitts.

In der fünften Sektion bildeten die Bereiche Kirche und Religiösität den Rahmen. Das konfliktuöse Verhältnis von Diskurs und 'Sitz des Lebens' der Querelle wurde in den Beiträgen von Pia Schmid über die Herrnhuter Brüdergemeinde ('Geschlechterstreit unter Frommen? Die Herrnhuter Brüdergemeinde im 18. Jahrhundert') und Xenia von Tippelskirch deutlich. In Schmids Darstellung der 1722 in der Oberlausitz gegründeten Lebensgemeinschaft der Herrnhuter standen sich religiöse Praktiken, wie z.B. der 'Seitenhüllchen- Kult', der eine symbolische Aufwertung des Weiblichen mit sich führte, und die tatsächliche Verteilung von Rechten und Pflichten im Gemeindeleben gegenüber, die nach anfänglicher Parität, im Laufe des 18. Jahrhunderts eine zunehmende Exklusion weiblicher Mitbestimmung im realen Leben zum Vorschein brachte.

Auf anderer Ebene zeigte sich dieser Konflikt in Tippelskirchs Präsentation des 'frauenfreundlichen' Dialogs von Cristofano Bronzini Della dignità e nobiltà delle donne, der kurz nach seinem Erscheinen 1622 von der Inquisition beschlagnahm wurde. Bronzini, so konnte Tippelskirch anhand von Quellen nachweisen, verteidigte sich gegen den Vorwurf der Indexkongregation die Superiorität der Frau gegenüber dem Mann behauptet zu haben, indem er auf die Metaphorizität der von ihm verwendeten Sprache hinwies. Damit wurde ein wichtiger Punkt der Querelleforschung angesprochen: Die Frage nach der zeitgenössischen Praxis des Lesens, mit der die Querelletexte rezipiert wurden und die je nachdem, ob der sensus litteralis oder der sensus spiritualis angenommen wurde, verschiedene und zum Teil widersprüchliche Aussagen zuließ.

Pierantonio Piatti untersuchte in seinem Beitrag ('The Formation of the Christian Mother model in European Augustinian Humanism (XV century) The thought of Maffeo Vegio, Roman humanist') dann wieder die theoretische und intertextuelle Ebene eines Querelle-Textes. Und zwar, inwiefern die Figur der Monika, der Mutter des Augustinus, in der italienischen Renaissance rezipiert und in den Schriften des augustinischen Humanisten Maffeo Vegio zum Vorbild für das Ideal einer in der Heiligen Schrift und den studia humanitatis christlich gebildeten Mutter wurde. Bemerkenswert war hierbei, daß sich keine der gelehrten Frauen der Frühen Neuzeit jemals auf Monika bezog.

Dem Stellenwert der Querelle in akademischen Traditionen und Diskussionen widmete sich die Sektion "Universität". Joseph S. Freedman vertrat die These, daß Frauen im Norden unabhängiger als im Süden gewesen seien und untermauerte seine Ansicht mit der Analyse akademischer philosophischer und philologischer Traktate zwischen 1500 und 1700. Annette Fulda näherte sich dieser akademischen Diskussion über Ausführungen der Gelehrten 'Jacob und Christian Thomasius als Verfechter der intellektuellen Ebenbürtigkeit der Frau'. Vor allem Christian Thomasius' kritische Reflexion des Stellenwerts der Lateinkenntnisse und seine Ablehnung der gesellschaftlichen Trennung der Geschlechter machen ihn zu einem frühen Gleichheitstheoretiker. Diese Positionen, wie er sie in der "Einleitung zur Vernunft-Lehre" von 1691 vertritt, revidiert er dann allerdings in seinen späteren Schriften.

Ob Frauen zur Gelehrsamkeit befähigt seien, untersuchte auch Brita Rang anhand von Dissertationen, die in dem Zeitraum von 1660 und 1740 an deutschen Universitäten entstanden. Sie vertrat die These, daß die humanistischen Frauenkataloge in den überwiegend an protestantischen Universitäten verteidigten Dissertationen fortgeführt wurden.

In der abschließenden Sektion stand das brisante Problem Gerechtigkeit/Gleichheit im Mittelpunkt. Claudia Opitz skizzierte in ihrem Beitrag ('Gleichheit der Geschlechter oder Anarchie? Zum Gleichheitsdiskurs in der Querelle des femmes und in der politischen Theorie um 1600') eine "Negativgeschichte" der Gleichheitsidee in der Frühen Neuzeit und machte die bisher abwesende Geschlechterdimension in der Genealogie des Gleichheitskonzepts stark. Neben den einschlägigen Texten von Bodin und Hobbes widmete sie sich der wohl bedeutendsten Wortmeldung aus der Feder einer Autorin: Marie de Gournays "De l'égalité des hommes et des femmes" von 1622. Opitz ging der Frage nach, warum diese Gleichheitskonzeption Gournays kaum rezipiert wurde und leistete mit dieser Kontextforschung einen Beitrag zur Schärfung der Kategorie weiblicher Autorschaft. Gournays inszenierte ihre Autorschaft über ihren Ziehvater Montaigne, wobei gerade diese Biographisierung ein Kanonisierungshindernis darstellte.

Dolores Morondo Taramundi untersuchte in ihrem Vortrag ('Contesting the subject: women, reason and natural law') den Einfluß der Querelle auf den Feminismus des 20. Jahrhunderts und dessen konstatierter Ausgangsposition eines Dilemmas of difference.

In der von Heide Wunder geführten Abschlußdiskussion wurde Bilanz gezogen: Die einleitenden Fragen des Impulsreferats und wiederkehrende Diskussionsstränge wurden zusammengeführt. So stand immer wieder die Verbindung der Diskurse mit der weltlichen Realität im Zentrum. Nicht zuletzt sensibilisierten die Vorträge und Diskussionen für die Wahrnehmung des Unsichtbaren, für den Blick über die disziplinären Horizonte und vor allem für die Exemplarität der Frauenfrage über den eigenen Kontext hinaus als europäisches Deutungsmuster. Die Akten dieser Tagung werden in Kürze erscheinen.

Anmerkungen:

1 zuerst erschienen als AHF-Information Nr. 116 vom 18.12.2003